Nichts kann uns die Atmosphäre der alten Zeiten besser vermitteln als die Aussage eines Augenzeugen. Ein solches Zeugnis liegt uns vor. 1982 hatte der Archivar Werner Frese bei Ordnungsarbeiten im Archiv des Freiherrn Droste zu Senden zwei kleine Oktavhefte gefunden, die in gleichmäßig schöner Schrift Zeile für Zeile und fast ohne jeglichen Absatz auf 105 Seiten beschrieben waren. Ein fließendes Lesen wurde durch die nur rudimentäre Zeichensetzung, die eigenwillige Grammatik und Orthographie stark beeinträchtigt. Doch bei einer gründlicheren Erfassung wurde festgestellt, daß es sich um das Tagebuch eines aus Böhmen stammenden Lakaien namens Johannes Commenda handelt, der nach 1744 über drei Jahrzehnte lang in Westfalen diente. Für unsere Erzählung sind seine Notizen aus dem Jahr 1746 interessant, als er mit seinem Herrn Franz Arnold Mauritz v. Droste Böhmen, besonders den Sommersitz seines Schwagers Kaspar Benedikt v. Ledebur in Perutz besuchte. Der Sommer- und Herbst-aufenthalt auf Perutz wird von Hansel Commenda als eine ununterbrochene Folge von verschiedenen Unterhaltungsaktivitäten geschildert: Besuche der Nachbarn, Jagd, und nicht zuletzt Musik und Tanz.1)
Perutz war seit 1676 ein Ledebur-Besitz. Der jüngste Sohn von Johann Friedrich v. Ledebur, Herrn auf Wicheln und Steinboll, Dietrich v. Ledebur war von Maria Magdalene v. der Goltz, der Schwester seiner Mutter, zum Erben ihrer Besitze in Böhmen bestimmt worden. Bei ihrem Tod übernahm er Schloß Jenikau bei Czaslau/ Caslav und die zugehörigen Ländereien; in den folgenden Jahren verkaufte Dietrich seine Besitze im Kreise Czaslau und erwarb aus dem Erlös ein Jahr vor seinem Tode Perutz bei Laun/Louny an der Eger. Von Dietrichs Witwe Beatrix ging Perutz auf deren Großneffen Alexander Johann v. Ledebur-Wicheln und dann auf dessen Sohn Kaspar Benedikt über.
Der Verfasser des Berichts von 1746 Hansel Commenda zeichnete sich - ähnlich wie andere Diener in seiner Umgebung - durch seine Musikalität aus. Er beherrschte die Violine, das Waldhorn und den Dudelsack, konnte Noten schreiben, und schließlich besorgte und kopierte er neue französische Tänze für die Gäste des Schlosses.
Einen besonderen Eindruck machte auf Hansel Commenda das Schloß Citoliby, welches dem Grafen Pachta gehörte und nur 10 km von Perutz entfernt lag. In seiner Darstellung schildert er jedoch weniger das hohe Niveau der dortigen geistlichen Musik als vielmehr die schöne Gräfin v. Pachta und das dortige Vergnügen: "Es ist ein Thun, ob ist im Jullio oder im August gewesen sein gefart nach Citolib zur Graff Bachta und zu die schöne Graffin, lustige Dame. Da seindt auch Musicanten gewesen. Ist da auch nicht traurich gangen."
Und einige Zeilen weiter können wir lesen:
"Die große Taffel wahr bereit zum Essen. Nach die Taffel die Musicante schon bereit angefangen zu Spillen. Der Ball ist angegangen und die gantze Nacht verhahret. Da kombt alle Augenblick Graff Bachta oder Baron Casper von Ledebur herauff wie auch die gnädige damesen, genennt die schöne gnädige Graffin Bachta wie auch die hochwohlgebohren Freylein Sophia von Ledebur (Kaspar Benedikts Tochter, spätere Gräfin v. Wurmbach), Freylein Wigerle und viele andere alle Augenblick zugesprochen. Und ich habe eine Notenbuch bey mir gehabt, wie noch dato habe, mit die franschesische Tantzen; die habe ich die Musicanten geben zu spielen. Vorher hatt die schöne, lustige Graffin von Bachta getanzt; zu Perutz mich beckert abzuschreiben. Seindt 24 Tantze gewesen. Des Morgens wahr Ball vorbey. Ich bekombt mein Conter Tantzbuch wieder und schreibe 24 Tantz für die Graffin auß zu Perutz. Sie ist zweite oder dritten Tag zu Perutz kommen, zu vernehmen, wie mit gnädiger Herr geth. Unterthesen habe ich die Tantzen fertig gehabt. Ein Ducat bekommen."
Graf Ernst Karl Pachta v. Raihofen hatte eine enge Beziehung zur Musik und zum Hausmusizieren. Diese Vorliebe spiegelte sich auch bei der Anstellung seiner Diener und Beamten wieder. Der Komponist Zdenek Sestak beschrieb diese Praxis in seiner Studie über die Musik von Citoltby folgendermaßen:
"Die Berichte aus den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts sprechen darüber, daß die meisten Leute am Pachta-Hof Musiker waren, vom Hofmeister, dem gräflichen Sekretär, dem Hofkaplan, dem Stallmeister bis zu den Lakaien. Es war eine typische Dienerkapelle des 18. Jahrhunderts, die wohl von Zeit zu Zeit je nach der Bedeutung des Auftrittes ergänzt wurde, und zwar nicht nur aus den Reihen der Kantoren und Präzeptoren, sondern auch der Beamten, lokalen Priester, Forstmeister, Braumeister, Röhrmeister und anderer Handwerker überhaupt, die beim Hof angestellt waren."
So ähnliche Verhältnisse herrschten nicht nur in Citoliby. Im nahen Perutz war es nicht anders, wie wir bei Hans Commenda erfahren können.
"Die Ersuche um Arbeitsstellen bei Pachta zeigen, daß bessere Aussichten der hatte, wer ein fähiger Musiker war. Der sich um eine Anstellung in der Brauerei von Citoliby bewerbende Braumeister vergißt nicht zu bemerken, er sei ein guter Klarinettist mit Praxis. Wenn wir im Nachlaß des Stallmeisters einen Druckband von Corellis Geigensonaten finden, unter denen sich auch die berühmte La Folia befindet, können wir uns ganz konkret und unübertrieben vorstellen, wie hoch die dortige Musikkultur war. Ebenso der erhaltene Vertrag über die Anstellung des Stallmeisters spricht klar und eindeutig von dessen Pflicht, sich aktiv an der Schloß- und Kirchenmusik zu beteiligen", schreibt der Komponist Zdenek Sestak.
1) Nach einem Bericht des tschechischen Rundfunks