Es liegt auf einem Berge in dem Westfalenland,

Die herrliche Ruine, der Ravensberg genannt.

Sie schaut in weite Ferne, ein Rest vergangener Pracht,

Darüber weht die Sage von längst begrabener Macht.

 

Wohl hat die Zeit gerüttelt an Mauern und an Turm,

Wohl braust durch leere Bögen der Regen und der Sturm,

Doch riesenkräftig wurzelt im heimatlichen Grund

der grafen stolze Wiege, ihr Denkmal zu der Stund.

 

Vor alten Zeiten herrschte gar reich an Stadt und Land

Auf seinem Ravensberge ein Graf mit starker Hand.

Er liebte seine Bauern, er war ihr Schild und Hort,

Im Kriege mit dem Schwerte, im Frieden mit dem Wort.

 

Doch mit dem Alter bleichte des Grafen Bart und Haar,

Der Panzer war zu wuchtig, das Auge nicht mehr klar.

Das Schwert, der Helm, die Lanze, sie hingen an der Wand,

Ermüdet war vom Streite des alten Ritters Hand.

 

Er saß in seiner Halle, die Sorgen in der Brust,

Zur Seite seine Söhne in frischer Jugendlust.

Doch wie er auf sie richtet den gramumwölkten Blick,

Da kehrt das frohe Leuchten ins stolze Aug zurück.

 

Ihr, meine lieben Söhne, seid jung und stark und kühn.

Ich werde alt und älter, die Kräfte mir entfliehn.

Wohl habe ich Vasallen, ich habe Burg und Land,

Doch kann sie nicht mehr schützen die altersschwache Hand.

 

Drum geb ich meine Lande euch meinen Söhnen zwei,

Daß mit der Grafenherrschaft die Kraft verbunden sei.

Vom hohen Ravensberge da ziehe ich hinab.

Im Schoße meiner Bauern erwarte mich das Grab.

 

So zog er mit der Gräfin hinunter in das Land

und weilte, wo ein Bächlein durch Wiesengrün sich wand.

Das trieb wohl manche Mühle mit lustigem Gebraus,

Der Ort schien ihm gelegen, hier baute er sein Haus.

 

Als Monde nun vergangen, wer hätte das gedacht,

Geschah es, daß dem Grafen ein Kind geboren ward.

Das Kindlein war ein Knabe, gesund und schmuck und fein.

Es sollte einst der Ahne von edlem Stamme sein

 

Der Vater nahm den Knaben in seinen treuen Arm,

Er küßt ihn auf die Stirne so liebevoll und warm;

Es wird, mein lieber Sprößling, der Ravensberg nicht dein,

Du mußt den ältern Brüdern wohl untergeben sein.

 

Ich kann dir nur vermachten manch ritterliches Gut,

Nicht trotzige Vasallen, doch treues Bauernblut.

Es wollen treue Herzen auf treu geleitet sein,

Drum lede du de Buren, das Erbe werde dein.

 

Es hat der Sohn bewahret des alten Vaters Wort.

Der Enkel hat´s vernommen, es erbet fort und fort;

Sie leiteten die Bauern in Frieden und Gefecht,

Die Ledebur, so heißet das blühende Geschlecht.

 

Der Ravensberger Sparren, weiß in dem roten Schild

Und auf des Helmes Federn, das ist ihr Wappenschild.

 

 

Die Sage stammt vermutlich aus dem 16. Jahrhundert und war noch im 19. Jahrhundert in Westfalen allgemein bekannt. Am 22.07.1852 faßte sie Heinrich Frhr v.Ledebur in die hier wiedergegebene Form. Sie erschien ohne Verfasserangabe etwas abgeändert 1855 in dem 2. Bande der "Berliner Revue" des Berliner Belletristen Hesekiel.